Potsdam. Das kurz zuvor erschienene Buch „Die Sozialistische Entscheidung“ von Paul Tillich wird auf die ersten Schwarzen Listen des NS-Staates gesetzt.
Der Alfred Protte Verlag bewirbt seine Neuerscheinung „Die sozialistische Entscheidung“ im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel am 3. Januar 1933. Im Werbetext des Verlages heißt es: „In eingehender Analyse des sozialistischen Denkens wird der innere Widerstreit gezeigt, in den der Sozialismus durch seine Doppelstellung zur bürgerlichen Gesellschaft notwendig geraten mußte. Im Mittelpunkt des Ganzen steht der Versuch, ein Prinzip des Sozialismus aufzustellen, von dem aus es möglich ist, ihn in umfassende geschichtliche Zusammenhänge einzuordnen, seine Haltung als prophetische Bewegung der Gegenwart zu deuten, seinen Widerstreit aufzulösen und neue Grundlagen seiner kommenden Entwicklung zu geben.“
Vier Monate nach der Veröffentlichung wird Tillichs Buch Anfang Mai 1933 von einem Ausschuss nationalsozialistischer Volksbibliothekare in Berlin auf eine seiner Schwarzen Listen gesetzt.
Quellen: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 2 vom 3. Januar 1933 (100. Jahrgang).
Anmerkungen: Paul Tillich war protestantischer Theologe und Professor an der Universität Frankfurt. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit weiteren Intellektuellen bildete Tillich während der Weimarer Republik einen Kreis „religiöser Sozialisten“, auch „Kairos-Kreis“ genannt, der politisch der SPD nahesteht. Dessen Zeitschrift Neue Blätter für den Sozialismus wird von Tillich mit herausgegeben und erscheint ebenfalls im Alfred Protte Verlag.
Die schwarzen Listen dienten als Handreichung bei der Vorbereitung der deutschlandweiten Bücherverbrennungen. Am 14. Juni 1933 wird dem Verleger Alfred Protte durch die Staatspolizeistelle Potsdam auch die Verbotsverfügung gegen die Neuen Blätter für den Sozialismus zugestellt. Die Polizei durchsuchte die Verlagsräume und beschlagnahmte die Bücher und Zeitschriften.
In dem von Alfred Protte in Potsdam gegründeten Verlag erschienen bis 1933 eine Reihe von Titeln namhafter Autor*innen, die sich mit ihren Publikationen gegen den politischen Aufstieg der NSDAP engagierten. Anders jedoch als bei vielen anderen Verlagen, die durch die Verbotspolitik des NS-Staates ruiniert wurden oder deren Verleger in Exil gingen, bedeutete die Zäsur des Jahres 1933 für Alfred Protte nicht das Ende seines Verlages. Er blieb in Potsdam und passte sich mit dem Verlagsprogramm politisch an. Zwar verlegte er fortan keine dezidiert nationalsozialistischen Bücher, dafür aber Titel, die sich der völkischen Ideologie des NS-Staates anbiederten, wie das 1939 erschienene Buch „Das Germanische Erbe der deutschen Dichtung“. Trotz dieses Opportunismus vergaßen die Nazis die progressivere Ausrichtung des Verlages 1933 nicht. Nach einer Reihe von Anfeindungen, darunter in der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“, stellte der Alfred Protte Verlag 1939 seine Arbeit ein. Protte selbst blieb im Verlagswesen tätig und arbeitete nach 1945 unter anderem im Verlag Rütten & Loening, dem Akademie-Verlag und bei der Katalogerstellung der Akademie der Künste. Er lebte bis zu seinem Tod 1977 in Potsdam.
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