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SA besetzt jüdische Geschäfte in Wittenberge

Wittenberge. In den Morgenstunden besetzt die Wittenberger SA die jüdischen Geschäfte der Stadt und stellt Posten davor auf.

Dies meldet die Fehrbelliner Zeitung in ihrer Ausgabe vom 30. März. „Die Maßnahme“, schreibt das Blatt, sei „im Hinblick auf den Abwehrkampf gegen die jüdische Lügenhetze im Ausland erfolgt.“

Quelle: Fehrbelliner Zeitung, Anzeiger für das Ländchen Bellin und die Umgegend, Nr. 38 vom 30. März 1933, (44. Jahrgang).

Anmerkung:  Der aus Wittenberge stammende Zeitzeuge Kurt Schein berichtet in einer E-Mail über einen Boykott in Wittenberge im April 1933:

Das erste große Ereignis, das einiges Erschrecken auslöste, war der antijüdische Boykott Anfang April 1933. In meiner Heimatstadt Wittenberge gab es, wie sich herausstellte, etwa acht bis zehn jüdische Geschäfte und Einrichtungen. „Kauft nicht bei Juden“ hieß es plötzlich. Die Geschäfte wurden umstellt von uniformierten SA- und SS- Männern, ausgerüstet mit Fotoapparaten. Konnten die Uniformierten mögliche Kunden nicht vom Betreten des Geschäftes zurückhalten, so wurden diese fotografiert und die Bilder am nächsten Tage ausgestellt mit der Überschrift: „Die Käufer bei Juden“. Schwerpunkt war dabei die Wittenberger Bahnstraße. Interessiert hatte ich mir das alles aus nächster Nähe angesehen. Als ich meinen Eltern darüber berichtete, waren sie entsetzt und erschrocken: „Wo soll das hinführen?“ Allerdings musste ich mir erst erklären lassen, wer und was die Juden überhaupt sind.

Dass die SA die jüdischen Geschäfte in Wittenberge schon am 28. März besetzte, ist bemerkenswert. Reichsweit fand der Boykott jüdischer Geschäfte, Banken, Ärzt*innenpraxen etc. unter dem Motto „Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ erst am 1. April statt. Der „Judenboykott“ war bereits seit Mitte März 1933 geplant. Die NS-Führung setzte damit eine Forderung aus dem NSDAP-Parteiprogramm von 1920 in die Tat um: die Verdrängung der deutschen Juden*Jüdinnen aus dem Wirtschaftsleben. Offiziell begründete sie die Aktion mit Protesten jüdischer Organisationen vor allem in Großbritannien und den USA, die die zunehmenden antijüdischen Gewalttaten in Deutschland kritisierten und über einen Boykott deutscher Waren nachdachten. Diese „jüdische Greuel- und Boykotthetze“ schlachtete die deutsche Presse auf Anweisung von Propagandaminister Goebbels ab Ende März aus und rief für den 1. April zum Boykott jüdischer Geschäfte in ganz Deutschland auf.

Weiterführende Links:

Geschäftsboykott am 1. April 1933