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Boykott jüdischer Geschäfte in Potsdam

Potsdam. In der Brandenburger Straße 31 befindet sich das ehemalige Warenhaus M. Hirsch. Am 1. April 1933 behindern Posten der SA entlang der Brandenburger Straße und der heutigen Friedrich-Ebert-Straße die Kund*innenschaft am Betreten von Geschäften, Arztpraxen und Anwaltskanzleien.

„Ruhiger Verlauf“ titelte die Potsdamer Tageszeitung am 1. April 1933 über den am Vormittag desselben Tages durchgeführten so genannten Judenboykott in Potsdam. Weiter heißt es: „Ein großes Aufgebot von SA und SS führte pünktlich den Aktionsplan durch. Auto- und Radfahrstreifen kontrollierten die Straßen. Besonders lebhaft, unter starken Menschenansammlungen, ging es in der Brandenburger und Nauener Straße zu. Vor den betreffenden Läden, den Haustüren von Rechtsanwälten und Ärzten standen SA-Posten, die hier und da von eifrigen Parteigenossen unterstützt wurden bei der Aufklärung des Publikums. Es kam verschiedentlich zu lebhaften Diskussionen und mancher Käufer ließ sich nicht abhalten, trotzdem den Laden zu betreten.“

Quelle: Potsdamer Tageszeitung vom 1. April 1933 (84. Jahrgang).

Anmerkung: Das Warenhaus M. Hirsch wurde Im Jahr 1879 von der jüdischen Geschäftsfrau Magda Hirsch gegründet. Das Angebot und die Verkaufsfläche im Lauf der Jahre wurde stetig erweitert, so dass es schließlich auf drei Etagen die Grundstücke der Brandenburger Straße 30 und 31 mit der seitlich angrenzenden Jägerstraße 25 verbindet. Es ist nicht das erste Mal, dass das Warenhaus M. Hirsch von Nazis angegangen wird. Bereits in der Nacht zum 14. Februar 1933 wurden seine Schaufensterscheiben eingeschlagen. In den ersten Wochen des Jahres 1933 hatte das Warenhaus M. Hirsch noch mit großformatigen Werbeanzeigen in der Potsdamer Tageszeitung über seine Angebote informiert. Diese werden zunächst kleiner und verschwinden schließlich gänzlich aus der Zeitung. Die antisemitischen Drangsalierungen, die das Warenhaus M. Hirsch und zahlreiche weitere jüdische Gewerbetreibende in Potsdam am 1. April 1933 über sich ergehen lassen müssen, lassen mit dem Ende der Boykottaktionen nicht nach. Bereits wenige Tage später wird die Geschäftsleitung des Warenhauses unter Druck gesetzt, seine jüdischen Angestellten und Auszubildenden zu entlassen. Kund*innen, die das Warenhaus betreten, müssen damit rechnen, auf offener Straße angepöbelt zu werden. Ende 1938 folgt schließlich das, was man im Nazi-Jargon „Arisierung“ nennt: Die jüdischen Besitzer*innen werden dazu gezwungen, das Warenhaus weit unter Wert an ein NSDAP-Mitglied zu verkaufen.

Für den 1. April 1933 rief die NS-Führung unter dem Motto „Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ reichsweit zum Boykott jüdischer Geschäfte, Banken, Ärzt*innenpraxen etc. auf. Sie leitete damit die Umsetzung einer Forderung aus dem NSDAP-Parteiprogramm von 1920 ein: die Verdrängung der deutschen Juden*Jüdinnen aus dem Wirtschaftsleben. Offiziell begründeten die Nazis die Aktion mit Protesten jüdischer Organisationen vor allem in Großbritannien und den USA, die die zunehmenden antijüdischen Gewalttaten in Deutschland kritisierten und über einen Boykott deutscher Waren nachdachten. Diese „jüdische Greuel- und Boykotthetze“ schlachtete die deutsche Presse auf Anweisung von Propagandaminister Goebbels ab Ende März aus. Den Boykott selbst bereiteten sogenannte „Aktionskomitees“ der NSDAP flächendeckend vor.

Weiterführende Links:

Audiowalk Potsdam – Station IV

Geschäftsboykott am 1. April 1933